Kirchenkreis Gütersloh. Die Glocke der Auferstehungskirche in Verl-Sürenheide läutete am Silvesterabend 2024 zum letzten Mal. Teils unter Tränen nahm die evangelische Kirchengemeinde Verl Abschied von dem Gotteshaus, das gerade auch vielen Ostvertriebenen seit 1967 eine spirituelle Heimat gewesen war. Es handelt sich um die vierte Kirche, die seit 2014 im Ev. Kirchenkreis Gütersloh entwidmet wurde. Weitere könnten folgen.
Besonders der gemeinsame Auszug aus der Auferstehungskirche machte den Gottesdienst-Besucher*innen sichtlich zu schaffen. Superintendent Frank Schneider, die Verler Pastoren Christoph Freimuth und Jens Hoffmann sowie viele Gemeindeglieder verließen das Gebäude mit wenigen sakralen Gegenständen: dem Taufbecken, den Gefäßen für das Abendmahl, dem Altarkreuz und der Osterkerze. Dann verstummten Chor und Orgel.
Ort hat Biografien geprägt
Für Superintendent Schneider war es „alles andere als schön, die Entwidmung zu vollziehen. Als Evangelische Kirche kennen wir zwar keine heiligen Orte, und das Fundament der Gemeinde ist weit mehr als ein Gebäude“, sagte er. „Aber Kirchen sind grundsätzlich Orte der Begegnung von Menschen mit Gott. Hier erleben sie wichtige Momente, die ihre eigene Biografie prägen, wie Taufe, Konfirmation und Hochzeit oder auch das Gedenken an die Verstorbenen.“
Grundsätzlich aber sei es notwendig und richtig, einzelne Standorte zu schließen, so der Superintendent. Er nennt dafür mehrere Gründe: Einer ist die allgemeine demografische Entwicklung. Hinzu kommen immer mehr Kirchenaustritte. In der Folge sinken die Kirchensteuer-Einnahmen und damit auch der Etat, den die Gemeinden für die Bewirtschaftung ihrer Immobilien verwenden können. Nicht zuletzt müssen ökologische Aspekte berücksichtigt werden, z.B. der Heizungs-Aufwand für wenig genutzte und schlecht isolierte Gebäude.
1949 zählte der Ev. Kirchenkreis Gütersloh 94.000 Gemeindeglieder. 32.000 davon waren sogenannte „Ostvertriebene“ – Geflüchtete aus Schlesien, Ostpreußen und Pommern. Auch in Verl fanden sie ein neues Zuhause. Schon bald setzten sie sich für eine evangelische Kirche in Sürenheide ein: Im Juli 1967 wurde die Auferstehungskirche in der Königsberger Straße 39 eingeweiht.
1968 erlebte der gesamte Ev. Kirchenkreis Gütersloh eine Hoch-Zeit mit 135.000 Gemeindegliedern. „Aber jetzt sind wir noch etwa 80.000“, sagt Superintendent Schneider, „und wir werden jährlich circa 2.500 weniger. Das sind schmerzliche Prozesse und Erlebnisse.“ Bis 2036 werde es voraussichtlich nur noch rund 60.000 Gemeindeglieder geben.
Welche Kirchen geschlossen wurden
Solche Entwicklungen haben Folgen. Seit 2014, seit Beginn seiner Amtszeit, musste Superintendent Schneider vier von 36 Gotteshäusern im Ev. Kirchenkreis Gütersloh entwidmen:
- die Christuskirche in Bielefeld-Senne (12. Februar 2019)
- das Paul-Gerhardt-Haus in Neubeckum-Roland (29. Juni 2019)
- Die Christuskirche in Oelde-Stromberg (26. September 2024)
- die Auferstehungskirche in Verl-Sürenheide (Silvester 2024).
Mögliche weitere Schließungen, die schon diskutiert werden:
- Die Kirche „Zum Guten Hirten“ an der Kahlertstraße in Gütersloh ist nach Schimmelbefall geschlossen und steht zum Verkauf.
- Die Johanneskirche am Pavenstädter Weg, ebenfalls in Gütersloh. Noch finden dort Gottesdienste statt. Diverse Möglichkeiten zur Umnutzungen sind im Gespräch.
- Die Evangeliumskirche auf d. Benkert in Gütersloh. Hier steht eine Umnutzung als Kolumbarium zur Diskussion, das heißt zur Aufbewahrung von Urnen.
Für Standort keine Perspektive gesehen
Seit 2017 ist Pastor Jens Hoffmann zusammen mit Pastor Christoph Freimuth Gemeindepfarrer für die Kirchengemeinde Verl und erster Ansprechpartner für die Gläubigen in Sürenheide. Zu Beginn seiner Amtszeit gehörte es zu seinen Aufgaben, das 50-jährige Kirchenjubiläum mit zu organisieren und zu feiern. „Sieben Jahre später die Kirche zu schließen, das ist auch für mich emotional herausfordernd.“ Die Entscheidung für die Kirchenschließung sei dennoch richtig gewesen, betont der Pastor. „Ich stehe mit dahinter. Es war eine Entwicklung, die sich seit etwa 20 Jahren abzeichnete.“
Den Tatsachen ins Auge sehen musste das Presbyterium spätestens, als eine Machbarkeitsprüfung zur energetischen Sanierung des Ensembles Auferstehungskirche-Gemeindehaus anstand. „Wir hätten etwa eine halbe Millionen Euro investieren müssen, in Dach, Heizung, Fenster, um alles den energetischen Anforderungen der Landeskirche entsprechend zu bauen“, erläutert Hoffmann, der mit der Prüfung beauftragt worden war. „Um es klar zu sagen: Die Gemeinde ist nicht in finanzieller Not. Wir hätten das Geld hineingesteckt, wenn das Gemeindeleben geblüht hätte, wenn wir eine Perspektive für den Standort gesehen hätten. Aber er wurde einfach nicht mehr gebraucht.“ Die Rechnung sei eindeutig: „Wir müssen mit der sinkenden Kirchensteuer so umgehen, dass sie unserer Gemeinde zugutekommt. Für zehn bis 15 Personen ein komplettes Gebäude vorzuhalten, was den Haushalt mit ungefähr 30.000 Euro belastet, also mit zehn Prozent unseres Haushalts, das konnten wir nicht verantworten.“
Stimmiger Abschluss mit „Kehraus-Party“ und Flohmarkt
Also stimmte Pfarrer Jens Hoffmann mit dem Presbyterium im März 2024 für die Schließung der Kirche und des dazugehörigen Gemeindehauses. „Meine größte Sorge war, dass es in der Gemeinde zu Spannungen kommt“, erinnert er sich. Das sei zum Glück nicht der Fall gewesen. „Wir haben die Gemeinde frühzeitig und intensiv beteiligt, im Gemeindebrief aufgerufen, eine Arbeitsgruppe gebildet, Gemeindeversammlungen einberufen, eine Online-Umfrage gestartet. Wir haben gefragt: Habt ihr Ideen, wie es hier weitergehen könnte. Es kam nichts Tragfähiges dabei heraus. Natürlich“, so der Pfarrer weiter, „gibt es Menschen, die ärgerlich sind und traurig, aber es hat sich keiner von ihnen geäußert. Selbst bei Facebook lautete der einzige Kommentar: Schade.“
Den Abschied hat man aktiv begangen, einen „stimmigen Abschluss“ ermöglicht. Deshalb auch der Silvestertag 2024 als Stichtag für die Entwidmung im Rahmen eines festlichen Gottesdienstes. Die Kirchenglocke erklang zu diesem Anlass zum allerletzten Mal.
Bereits im Dezember feierte man eine Kehraus-Party mit Liveband und rund 250 Gästen, darunter Vertreterinnen und Vertreter von Vereinen aus Sürenheide sowie ehemalige Geistliche.
Ende Januar veranstaltete die Gemeinde einen großen Flohmarkt. Gegen eine Spende konnten Wegbegleiter und Interessierte Erinnerungsstücke und andere Gegenstände erwerben, darunter Kniebänke und Holzstühle, selbst gebastelte Kerzen, Skateboards oder ein Kickertisch.
Die offene Jugendarbeit wurde vom Gemeindehaus vorübergehend in den Bürgertreff an der Posener Straße 2 verlegt, wo die Sürenheider Dorfgemeinschaft ihren Sitz hat. Dort bleibt die offenen Jugendarbeit, bis der Neubau fertiggestellt ist.
Der Friedhof bleibt. Er ist in sehr gutem Zustand und für alle Verstorbenen aus Sürenheide gedacht – gleich welcher Konfession.
Im Pfarrhaus neben der Kirche wird Familie Hoffmann weiterhin wohnen, wenngleich mit gemischten Gefühlen: „Das wird schon belastend“, sagt er. „Ich habe praktisch die ganze Zeit den Verlust vor Augen.“ Erstaunlich: Für viele Gläubige sei die wichtigste Frage gewesen, ob nun auch noch der Pfarrer fortzieht. Es sei gut gewesen, sie in dieser Hinsicht beruhigen zu können.
Für die Auferstehungskirche wird gemeinsam mit der Stadt und der syrisch-orthodoxen Gemeinde nach einer Lösung gesucht. Für die Orgel in der Auferstehungskirche hat die Gemeinde keine Verwendung mehr, ihr Wert: 8.000 Euro, ein Verkauf ist geplant. „Eine richtig gute Orgel, vollkommen in Schuss, wir haben ein Gutachten erstellen lassen“, betont der Pastor.
„Unsere Gemeinde ist lebendig, sie findet nur nicht mehr in diesem Gebäude statt“, sind sich die beiden Gemeindepastoren einig. Sie schmieden Pläne, in welchen anderen Verler Ortsteilen sie demnächst Gottesdienste feiern. Mit diesen Plänen sind sie nah an dem, was Superintendent Frank Schneider sagt: „Als Christinnen und Christen müssen wir uns immer wieder neu auf den Weg machen, persönlich und als Kirchen und wir tun das mit Gottes Segen.“ Es gibt so viele Möglichkeiten, um als Kirche präsent zu sein. kkgt