Bielefeld. Für Scham und Schuld ist im Betheler Assapheum am Dienstagvormittag kein Platz. Diese beiden Gefühle hat Sarah Vecera gleich zu Beginn ihrer Rede auf der Herbstsynode der Evangelischen Kirche von Westfalen bewusst „des Raumes verwiesen“. Denn alle im Saal seien von Rassismus betroffen – wenn auch auf unterschiedliche Weise.
Die Landessynode hatte sich bereits im November 2024 intensiv mit dem Schwerpunktthema „Kirche in Vielfalt“ befasst. Damals wurde deutlich: Die Evangelische Kirche von Westfalen ist auf dem Weg – doch dieser Weg braucht Kontinuität und Beharrlichkeit. Nun nahm Sarah Vecera, Referentin für Antirassismus und Intersektionalität in der Vereinten Evangelischen Mission (VEM), mit ihrem Vortrag die Synodalen mit „Auf den Weg zu einer rassismussensiblen Kirche“.
Veceras Lebenslauf ist geprägt von kirchlichen Erfahrungen: Taufe, Kindergottesdienstbesuche, Konfirmation, ehrenamtliche Jugendarbeit, sogar Studien der Theologie und Religionspädagogik. Auch wenn sie die beste Zeit ihrer Kindheit und Jugend in der Evangelischen Kirche erlebt habe, sei auch dort das System Rassismus sichtbar geworden. Es zeigte sich in „vermeintlichen Lappalien“, die zunächst nichts mit dem großen, mit Adolf Hitler verknüpften Rassismusbegriff zu tun gehabt hätten. Erst ihre wissenschaftliche Beschäftigung habe ihr verdeutlicht, wie sehr sich Diskriminierung und Rassismus auch in alltäglichen, kleinen Situationen zeigten.
Menschen tragen – oft unbewusst als Teil des Systems – dazu bei, dass Rassismus etabliert und fortgesetzt wird. Das geschieht unter anderem durch Narrative, die über Generationen hinweg weitergegeben werden und das Denken beeinflussen. Dabei betont Vecera, dass alle Menschen – nicht nur People of Color wie sie selbst – dieser Facette des Rassismus ausgesetzt sind: „Das weiße Kind, welches (wodurch auch immer) bereits die Lüge erlernt hat, dass Schwarze Menschen weniger intelligent und schön sind, ist doch mindestens so betroffen wie ich von Rassismus.“ Anhand wissenschaftlicher Studien zeigte die Bildungsreferentin der VEM eindrücklich, wie tief verwurzelte stereotype Zuschreibungen bis heute reale Benachteiligungen erzeugen.
Darüber hinaus schließt Vecera ausdrücklich jede Form von Antisemitismus in ihre Ausführungen ein und widerspricht entschieden dem Versuch, Antisemitismus und Rassismus gegeneinander auszuspielen. „Wenn wir Rassismus in der Kirche bearbeiten, dann darf das nie auf Kosten jüdischer Erfahrungen gehen. Und umgekehrt: Eine Kirche, die glaubwürdig gegen Antisemitismus aufsteht, kann es sich nicht leisten, rassistische Strukturen zu ignorieren. Es sind unterschiedliche Geschichten, aber sie entspringen derselben falschen Hierarchie von Menschenleben.“ Eine glaubwürdige Kirche müsse daher beides gemeinsam in den Blick nehmen.
Die Bildungsreferentin fordert mit ihrer Rede auf, die eigene Prägung wahrzunehmen, historische Zusammenhänge aufzuarbeiten und als Kirche aktiv für eine gerechte und vielfältige Gesellschaft einzustehen. Sie endet mit einem Zitat aus ihrem Buch „Gemeinsam anders“: „Die Liebe, das Miteinander sind das, was letztendlich zählt im Leben. Dazu sind wir geschaffen: füreinander. Um gemeinsam anders zu sein. Das ist Liebe. Nichts, was wir Menschen konstruiert und geschaffen haben. Es ist eine Liebe, die Gott* uns geschenkt hat. Es gilt sie immer wieder zu suchen.“
Zwei Workshoptermine mit Sarah Vecera bieten den Synodalen im Januar die Möglichkeit, über Handlungsempfehlungen nachzudenken und das Gehörte zu verarbeiten. Das Ziel muss eine evangelische Kirche sein, die in Zukunft positive Gegenerzählungen gestaltet und als ein Hoffnungsort in einer pluralen Gesellschaft fungiert.
Zum Hintergrund:
Die Landessynode ist das oberste Entscheidungsgremium der Evangelischen Kirche von Westfalen. Ihr gehören 153 stimmberechtigte Mitglieder an. Dazu zählen Synodale, die von den 26 Kirchenkreisen der Landeskirche entsandt werden, sowie Vertreterinnen und Vertreter von evangelisch-theologischen Fakultäten und von der Kirchenleitung berufene Mitglieder. Hinzu kommen Mitglieder mit beratender Funktion und sachverständige Gäste.

