„Du Opfer!“

Ostergruß des Superintendenten Christian Heine-Göttelmann

Plakatmotiv der Karfreitagsaktion der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (Ausschnitt). Foto Ralf Kopp. Quelle: www.karfreitag.de

„Du Opfer!“ - diesen Ausspruch hört man unter Schülern häufiger. Gemeint ist: Jemand wird gemobbt oder befindet sich in einer peinlichen Situation. Mit dem Ausdruck „Opfer“ wird schon lange kein kultisches Menschen– oder Tieropfer mehr verbunden. Eine Plakataktion der Evangelische Kirche in Hessen und Nassau macht derzeit von sich reden (www.karfreitag.de). Sie zeigt eine zum Victory-Zeichen erhobene Hand mit Nagelwunde, aus der Blut fließt. Daneben steht: „opfer?“.

 

Wie ist das zu verstehen? Es geht um eine öffentliche Diskussion zur Bedeutung des Karfreitags – letztlich um das Thema Gewalt und Tod. Große Transparente hängen von Kirchtürmen oder Gebäuden, Menschen werden auf den Straßen interviewt. In dem Bild spiegelt sich die vermeintliche Widersprüchlichkeit unseres Glaubens wider: Jesus wurde Opfer von Gewalt und zugleich sprechen wir vom Sieg über Gewalt und Tod. Wie ist das zu verstehen?

 

Jesus erlebte die Gewalt der Herrschenden gegen einen, der ihr System, ihre eigene Macht gefährdete. Also keine Erfolgsgeschichte, sondern Hinrichtung. Wir erkennen darin Gottes Geschichte und die Opfer erkennen in Jesu Geschichte ihre eigene wieder. Das führt zur Solidarität - so wie in der weltweiten Aktionswoche für Frieden im Nahen Osten Ende Mai. Es verpflichtet aber auch zum transparenten Umgang mit Gewalt im eigenen System, das über die Jahrhunderte oft lieber mächtig als solidarisch in Erscheinung trat.

 

Widerspruch also dort, wo es zu Gewalt kommt, wo Menschen nicht ihrer Bestimmung entsprechend leben können – auch oder gerade an Feiertagen. Was diese Debatte angeht, denke ich, sind wir eher Opfer einer rastlosen Gesellschaft. Wer sich selbst und anderen keine Ruhezonen mehr erlaubt, wird auf dem Altar der ständigen Bühnenpräsenz bluten. Immer erreichbar, immer online. Es geht in der Feiertagsregelung um Freiräume, nicht um die Beschneidung der Selbstbestimmung.

 

Und dass wir Christen uns einer blutigen Geschichte erinnern, mag skurril wirken. Für uns ist sie die Geschichte der Menschheit schlechthin. Wie das „Victory-Zeichen“ der blutenden Hand: albern, widersprüchlich? Schon die ersten Christen wurden so verspottet: Ein Grafitto aus dem zweiten Jahrhundert zeigt einen Christen in der Anbetung des Gekreuzigten mit einem Eselskopf. Ein Narr, ein Opfer, wer glaubt, das System der Gewalt und Gegengewalt könnte einmal vorbei sein. Das System eines Lebens, das von der Angst vor dem Tod geprägt ist und damit ewige Jugend zu ihrem Idol gemacht hat. Opfer einer Leichtgläubigkeit?

 

Die einmal mit Gott begonnene Geschichte, mit dem, der ins Leben ruft, wird nicht einfach so vorbei sein. Das lässt sich nicht beweisen. Das lässt sich glauben, und - zumindest ansatzweise - leben. Nur ein blutender Sieg der Hoffnung?

 

Wovon wollen Sie erzählen an Karfreitag und Ostern? Von eierlegenden Hasen oder von Ihrem Umgang mit Scheitern und Hoffen? Besuchen Sie uns – für letzteres sind wir Ihnen gerne Gesprächspartner. Frohe Ostern!

 

Ihr

Christian Heine-Göttelmann, Superintendent