Fluch wurde zum Segen

Dr. Rolf Wischnath zur angeblichen Judenfeindlichkeit der Bachschen Matthäus-Passion

Begeistert von Bach: Ullrich Felchner, KMD Sigmund Bothmann und Professor Dr. Rolf Wischnath (v.l.). Foto: Kerstin Jacobsen

Gütersloh. „Ist die Bachsche Matthäus-Passion ‚ein antijüdisches Machwerk’?“ Dieser Frage ging Professor Dr. Rolf Wischnath am vergangenen Dienstagabend mit einem Vortrag vor einem hochkonzentrierten Publikum in der gut besuchten Apostelkirche nach. Eingeladen hatte der Förderverein historische Kirchen und der Bachchor Gütersloh. Letzterer sang einige Chorsätze und Choräle der Matthäus-Passion und unterstrich so das Gesagte.

 

Wischnath regte an, das Werk als Teil des Karfreitagsgottesdienstes wahrzunehmen. Der Pfarrer wollte nicht „als rhetorischer Weihrauchschwenker daher kommen“ und gab kritischen Stimmen viel Raum. Dass diese Musik antijüdisch missbraucht werden könne, sei unbestreitbar. Wischnath zitierte etwa den jüdischen Geiger und Schriftsteller Michael Wieck: „Vom Judas, der Jesus verriet, über ‚Juda verrecke' bis Auschwitz sehe ich eine deutliche psychologische Verbindung. Immer wenn der Evangelist den Namen ‚Judas“ singt, schrecke ich zusammen und mir ist, als wenn er mich meint.“ Als deutsche Nachgeborene seien wir nicht befugt, so Wischnath, hier zu widersprechen.

 

Johann Sebastian Bach jedoch erwarte von seinen Hörern nicht „Abscheu vor den Juden“, sondern ihre „bußfertige Erkenntnis“, „dass eben wir selber bis heute durch unsere Sünden beteiligt sind an der Verwerfung und Schmähung des Gerechten – eben durch unsere Sünde“.

 

Ausführlich widmete sich Wischnath dem Vorwurf, schon die biblische Matthäuspassion sei „ein judenfeindliches Machwerk“. So werde etwa in der Schilderung des Verräters Judas oft übersehen: „Er ist der einzige Mensch, der als Beteiligter am Justizmord, erkennt, dass Jesus Unrecht geschieht.“ Judas allein reue sein Verhalten und als Folge dieser Reue begehe er Selbstmord. Nicht aus Feigheit, sondern er vollstrecke an sich selbst das jüdische Gesetz des Mose.

 

Heikelste Stelle des Matthäusevangeliums wie der Bachschen Passion sei die Stelle (Matthäus 27,25) „Da antwortete das ganze Volk: ‚Sein Blut komme über uns und unsere Kinder.’“ Wischnath: „Die Judenverfolgung durch die Jahrhunderte bis hin zu den Konzentrationslagern in der Nazizeit sind oft gerechtfertigt worden mit dem Fluch, der in diesem Satz liegt.“ Auch wenn er Bachs Werk insgesamt nicht für judenfeindlich halte, so sehe er an dieser Stelle „eine vermutlich tatsächlich gegen die Juden ausgerichtete musikalische Speerspitze.“ Den Satz stellte Wischnath in den Zusammenhang der Karfreitagsgeschichte. Gott habe keine Freude am Blut der Menschen. Gerade am Karfreitag „bricht Gott das Blutgesetz von Totschlag und Rache, von Schuld und neuer Schuld.“ Er haben aus dem Fluch einen Segen gemacht: „Das Blut Christi macht alle frei, die Schuld auf sich geladen haben und unter den bösen Folgen ihrer Tat selber leiden. Das ist auch die einzige Hoffnung der Christen angesichts ihrer eigenen Schuldgeschichte gegenüber den Juden.“

 

„Mit der Matthäuspassion werden wir nie fertig“ – so das Resümee des Referenten. Bachs Werk gehöre zum Ergreifendsten und Bestürzendsten, was es in der Musikgeschichte je gegeben habe. „Wie gut und wie ernst, wie tröstlich und wie herausfordernd, wie todesnah und lebenstüchtig, dass wir am Karfreitag hier in Gütersloh diese Musik und dieses Evangelium mit eigenen Ohren hören dürfen.“

 

Die Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach erklingt am Karfreitag, 6. April um 15 Uhr in der Martin-Luther-Kirche. Es musizieren der Bachchor Gütersloh, der Knabenchor Gütersloh und das Bachorchester Gütersloh, die Leitung hat KMD Sigmund Bothmann. Restkarten an der Abendkasse.

 kj